Der Morgen davor

Wer bin ich? Was ist mein Sein? Gaehnend blickte ich aus dem Fenster, um die Zeiger der gegenueberliegenden Kirchturmuhr zu entziffern. 9.30 Uhr. Ich war gerade aufgestanden. Waehrend meine Guten-Morgen-Zigarette Feuer fing, fiktionalisierte ich den folgenden Abend.

Die hoelzerne Tuer kuendigt weiblichen Besuch an. Den letzten Schluck aus der Whiskeyflasche trinkend begebe ich mich zur Pforte.

Luise… ich verfalle dem Eindruck, dass sie in der Zeit unserer Getrenntheit noch weiblicher geworden ist. Vier Jahre sind vergangen und nun steht sie endlich wieder vor mir, neben mir und zu mir. Luise verliess mich, weil sie glaubte, ich und unsere Beziehung haetten keine Zukunft. Doch bei ihrem gestrigen Anruf glaubte Luise, ich haette sie wiedergefunden. Und das nur, weil ich endlich einen Roman verlegen liess, der sich obendrein auch noch recht gut verkaufte. Zukunft… ha! Wenn ich dieses Wort schon hoere ueberkommt mich ein Gefuehl der maximalen Ausscheidung; als muesste ich simultan kotzen, pissen und scheissen. Und nun lehnt sie sich dort an, wo sie mir vor vier Jahren sagte, ich muesse mich erst wieder finden, wenn wir uns wiedersehen wollten. Habe ich mich nun wiedergefunden… Luise? Wer bin ich? Was ist mein Sein… Luise? Ich trage den Augenblick in mir, behuete ihn wie einen nie gefundenen Schatz. >Komm, setz dich<, sage ich zu ihr. >Ich bin so froh, dass es dich wieder gibt<, laechelt sie mir entgegen. Aber Luise, habe ich mich denn verloren? Hat sich meine Existenz einer Reinkarnation unterzogen?. Sie legt ihren Mantel ab und setzt sich in die abgenutzte Couch, von der sie gewiss nicht wissen moechte, dass dort vergangene Nacht grossartiger Sex mit meiner Nachbarin stattgefunden hat (von den Orgasmusflecken ganz zu schweigen). >Verkauft sich dein Buch noch immer so gut wie am Anfang?< Anfang, Luise? Welchen Anfang meinst du? Den der finanzmateriellen Umsetzung oder den der geistigen Umsetzung in den Koepfen der Leser? >Ja, es laeuft ganz gut.< Ihre Katzenaugen scheinen meine Lust herauszufordern. Sanft streichelt sie sich durch ihr dichtes, schwarzes Haar. Panther... Sie ist wie ein Panther. Zuerst ist er zahm und geniesst die Streicheleinheiten. Doch wenn er erst einmal das Stadium seiner absoluten Lust erreicht hat, faucht und knurrt er - er reisst sein Maul auf und verschlingt dich mit Haut und Haaren. >Lebst du noch immer allein?< fragt sie. Aber Luise... allein? War ich je allein. Schwebte mein Geist nicht stets im Land der Gemeinschaft, wo ich unter vielen bin und wie viele, leide - gewissermassen ein kollektives Leiden der Einsamkeit?! Doch dieses Paradies wirst du nie finden, denn deine Phantasie lebt in der Zukunft, in der der Moment stirbt. >Ich wohne allein, ja, noch immer<, antworte ich. >Es ist gut so.< >Welch eine Hitze du hier hast<, bemerkt sie und oeffnet die obersten Knoepfe ihrer Bluse, die sie, wie ich erst jetzt registriere, am Tag unseres Abschieds trug. Rote Seide mit kleinen schwarzen Rosen, die wie fluegellahme Libellen aussehen. >Ja, es ist heiss. Ich habe meinen Ventilator in Reparatur gegeben<, erwidere ich. Ventilator - ich habe gar keinen, habe noch nie einen besessen. Die Unbarmherzigkeit der Stadt hat mich immer abgekuehlt und manchmal, im Hochsommer bekam ich sogar Anfaelle von Schuettelfrost. Und jetzt, wo ich ihren ueppigen Brustansatz sehe, wird auch mir heiss. Mein Blick schmilzt zwischen ihren Bruesten. Langsam gleitet er ihren Koerper hinab, ihren Bauchnabel kitzelnd, ihre Lenden kuessend, um Platz zu nehmen zwischen ihren Schenkeln - an diesem unheiligen Ort, der schon so viele Blicke in sich aufsaugen musste. Doch dieses Mal bleibt mein Blick nicht stecken in dem Durcheinander aus Schamlosigkeit und Schuld. Er sucht seinen Weg und findet ihn - hinein in ihre Vagina, an ihrer Gebaermutter vorbei, die Eierstoecke und abgestorbenen Samenzellen zig Verehrer gruessend, hinein in ihr Innerstes, das selbst Luise nicht kennt. Dieser Blick schmerzt, denn was dort aufflackert, ist der Blick auf die unverhuellte, gleichsam schreiende wie schweigsame Ur-Wahrheit. Nicht die Wahrheit des Bewusstseins. Nein - dieser Blick geht viel tiefer. Hier - an dieser Staette - ist es warm und sanft, zaertlich und liebend, wunschfrei und geborgen - augenblicklich. Es ist der Ort der Lust, des Triebes, des Lebens. An dieser Stelle vereinigt sich die Erfuellung durch Liebe und die Sehnsucht zu leben, wirklich zu leben. Es ist die Symbiose aus Sinn und Leidenschaft. Nun, wo ich ihre Wuensche meiner bewussten Erkenntnis anpasse, will ich nicht laenger das Tier in mir verstecken. Ich werde ihr zeigen, was es heisst, ein Taeter der Begierde zu sein. Ich setze mich zu ihr auf die Couch und nehme ihr empfindsam, samtenes Gesicht vorsichtig in meine Haende. >Ich will<, sage ich und noch bevor sie irgend etwas erwidern kann, steckt meine Zunge bereits in ihrem Schlund und durchsucht den Innenraum ihres Schweigens, um auf eine Goldmine zu stossen. Wahrlich - ich finde diese Mine. Heftig loest sie sich von mir, um sich auszuziehen. Und auch ich reisse mir regelrecht die Kleidung vom Leib. Wir begegnen uns in neuem Glanz - nackt, ehrlich und voller Lust. Wir sind die Zeit, der Ort und die Wahrheit unzaehliger menschlicher Luegen. Vorspiele, Wege zur Erregtheit und all die anderen Heucheleien, die noetig sind, um den Geschlechtspartner aufzugeilen fallen aus. Wir finden das direkte Ziel: den orgiastischen Traum! Es ist die Sinfonie der Lusterfuellung, die Hymne auf die komplexe Totalitaet von Fleisch und Geist. Voll wilder Geilheit setzt sie sich auf mich und reitet mit mir zu den Sternen des Dionysus. Dort Angekommen steigt sie ab und nimmt meinen gluehenden Penis in ihre Haende. Sie knetet ihn, kratzt, beisst und spuckt auf ihn. Rhythmisch drehe und kruemme ich mich unter ihrem kreischenden Koerper. Nun nimmt Luise mein leuchtendes Schwert in den Mund und laesst ihrer Phantasie den Lauf, der ihr seit der Kindheit fehlt. Ich wiehere, stoehne, lache, weine - die Gefuehle aller menschlich unterdrueckten Begierden scheinen in mir aufzusteigen und sich in meinen Organen zu manifestieren. Unser Bewusstsein hat die Kontrolle verloren. Ja! ich treibe es - ich treibe - treibe dahin in einen lasziven Sog, der mich aller Sinne bemaechtigt. Das Denken, der Verstand ist tot - das Blut pulsiert in allen Adern meines Koerpers zum Erkochen. Luise in mir - ich in ihr. Tausend Schwaenze, tausend Fotzen ! Ich rolle mich zur Seite, werfe sie auf den Boden und lasse meinen luesternes Gemaecht in ihre Spalte gleiten. Ich stosse, schiebe, druecke ihn immer wieder hinein - immer tiefer, weiter, weiter, weiter... Das feierliche Zeremoniell legt Fluessigkeiten frei, die im labyrinthischen Kuss unserer Lust untergehen, bis dass der sanfte Aufschrei ihrer Schenkel meine, sich verzueckt windende Schlange verstummen laesst. Nur langsam loesen sich unsere verschwitzten Koerper voneinander und gleiten erschoepft auf den feucht gewordenen Boden. Zehn Minuten etwa liegen wir nebeneinander, noch warm, schweigend und die Augen geschlossen. Dann steht Luise auf, zieht sich an und geht zur Tuer. Zoegernd oeffnet sie sich. >Danke<, sagt sie und kuesst mein Herz. >Danke<, sage ich und streichle ihre Seele. Hier liege ich nun, Luise ist weg und der Duft unseres Koitus klebt an der Decke meiner Wohnung. Ich gehe zum Kuehlschrank, trinke hastig eine Dose Bier leer und lache.

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